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Pflegekräfte altern nicht – sie passen sich nur der Schichtrotation an → Oder: Wenn Marcel Proust Pflegekraft gewesen wäre

Autorenbild: Schwester Eva - PflegeexpertinSchwester Eva - Pflegeexpertin





Man sagt, die Zeit vergeht für alle gleich. Doch jeder, der jemals in einer Nachtschicht gestanden hat – in einem leise summenden Stationszimmer, während der Flur in ein unwirkliches Dämmerlicht getaucht ist –, weiß: Das ist eine Lüge. Zeit in der Pflege ist kein stetiger Fluss. Sie ist ein Ozean mit Strömungen, mal sanft, mal reißend. Sie dehnt sich wie ein Katheterwechsel um drei Uhr morgens und zieht sich zusammen, wenn die Visite plötzlich in der Tür steht. Minuten können sich wie Stunden anfühlen – und doch, am Ende eines langen Dienstes, fragt man sich immer wieder: Wo ist die Zeit nur geblieben?   Die Relativität der Pflegezeit – Einstein hätte seine Freude Albert Einstein lehrte uns, dass Zeit relativ ist – je schneller wir uns bewegen, desto langsamer vergeht sie für uns. Pflegekräfte erleben genau das, nur andersherum: Während die Außenwelt schläft, bewegen sie sich durch ein eigenes Gravitationsfeld aus Hektik, Verantwortung und Müdigkeit. Ein schwarzes Loch der Schichtrotation, in dem Stunden zu Sekunden schrumpfen – bis der Dienst vorbei ist und die Zeit plötzlich wieder mit voller Wucht auf sie einstürzt. Und dann das Paradoxon: Pflegekräfte wirken oft jünger als sie sind – aber fühlen sich älter. Das ist kein Zufall, sondern ein Tanz zwischen neurobiologischer Zeitwahrnehmung, Schichtarbeit und dem paradoxen Effekt des Dauerfunktionsmodus.   Laut Forschung zur Chronobiologie (Roenneberg, “How We Tick”, 2019) sind Menschen nicht dafür gemacht, ständig ihre innere Uhr zurückzusetzen. Doch Pflegekräfte tun genau das – Nacht für Nacht, Jahr für Jahr. Die Folge? Eine Art Zeitversatz zwischen Körper und Geist.   Wenn Marcel Proust Pflegekraft gewesen wäre


„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern darin, mit neuen Augen zu sehen.“ – Marcel Proust


Hätte Proust in der Pflege gearbeitet, hätte er sein Opus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vermutlich in einem Dienstplan verfasst – zwischen Früh-, Spät- und Nachtschicht. Vielleicht hätte ein Praktikum bei Florence Nightingale ihm geholfen, die wahre Kunst der Zeitverzerrung zu verstehen: die Fähigkeit, in einer Schicht 12 Stunden in 6 Stunden zu quetschen und gleichzeitig endlose Minuten am Patientenbett wie eine Ewigkeit zu erleben.


• Ein ständiges Springen zwischen parallelen Zeitlinien – ein Patient soll um 14 Uhr zum CT, gleichzeitig ist Visite, und irgendwie steht auch noch die Entlassung auf dem Plan.

• Momente, die sich ins Unendliche dehnen – ein fehlerhafter Reanimationsalarm, der nur fünf Minuten dauert, aber den Adrenalinspiegel für Stunden hält.

• Tage, die ineinanderfließen – weil man nach einer Nachtschicht erst am übernächsten Tag wieder richtig ankommt. Man könnte sagen, Pflegekräfte sind die einzigen Menschen, die gleichzeitig in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren – und dabei noch rechtzeitig zur Dienstübergabe erscheinen.  Warum fühlt sich Pflegezeit so anders an? Neben der Schichtrotation gibt es neurobiologische Effekte, die unser Zeitempfinden verzerren.   1. Zeitdilatation durch Dauerstress


• In extremen Belastungssituationen schaltet das Gehirn in den Überwachungsmodus. Der präfrontale Cortex arbeitet auf Hochtouren, wodurch Zeit subjektiv langsamer vergeht.

• Gleichzeitig führen Cortisol und Adrenalin dazu, dass wir weniger Erinnerungen an „normale“ Dienstabläufe speichern – was dazu führt, dass die Tage im Rückblick schneller verfliegen. 2. Chronobiologische Entkopplung

• Unser Biorhythmus steuert Wachheit, Verdauung, Hormonproduktion – doch in der Pflege gelten keine festen Regeln.

• Studien zeigen, dass dauerhafte Schichtarbeit die biologische Alterung beschleunigen kann (Czeisler, Harvard Medical School), doch paradoxerweise auch den Körper länger in einem Aktivitätsmodus hält. Das Resultat? Pflegekräfte altern in der Zeit – aber nicht mit ihr.  Gibt es einen Ausweg aus dem Pflege-Zeitparadoxon?  


3. Die Kunst der eigenen Zeitgestaltung


• Nicht alles kann man beeinflussen – aber Rituale helfen. Wer seinen Körper immer zur gleichen Zeit schlafen schickt (auch tagsüber), trickst die innere Uhr aus.

• Lichttherapie und Melatonin sind keine Magie, sondern schlicht Chronobiologie in Aktion.


4. Das eigene Tempo finden


• Hektik ist nicht gleich Effizienz. Pflegekräfte, die sich bewusst entschleunigen (z. B. durch kontrollierte Atemtechniken), erleben Zeit anders – und verbrennen weniger Energie.  3. Perspektive bewahren

• Pflege ist nicht nur Funktion, sie ist Begegnung. Zeit vergeht anders, wenn sie mit Bedeutung gefüllt ist – ob durch ein kurzes Gespräch, einen Lacher mit Kollegen oder den Blick eines Patienten, der sagt: Danke.  


Fazit: Pflegekräfte als Zeitreisende zwischen den Welten Pflege ist eine Welt für sich – eine Dimension, in der Sekunden ewig dauern können und Jahre im Rückblick verfliegen.  


Pflegekräfte altern nicht schneller – sie lernen nur, die Zeit anders zu tragen.  Sie leben nicht außerhalb der Zeit – sie verweben Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer täglichen Arbeit.  Sie sind nicht von der Schwerkraft der Welt losgelöst – aber sie haben gelernt, in ihren eigenen Bahnen zu rotieren. Und das größte Geheimnis? Zeit vergeht nicht für alle gleich – aber Kaffee ☕️ bleibt immer eine Konstante.  



GLG


Eure Schwester Eva



Abschlussnotiz: Dieses Literaturverzeichnis mischt wissenschaftliche Studien mit philosophischen und literarischen Perspektiven, um das Thema der Zeitwahrnehmung in der Pflege so vielschichtig wie möglich darzustellen.


Literaturverzeichnis:


• Czeisler, C. A. (2015). Perspective: Casting light on sleep deficiency. Nature, 520(7535), 162-163. → Eine der zentralen Studien zur Schichtarbeit und biologischer Alterung, mit Fokus auf langfristige Gesundheitseffekte.

• Roenneberg, T. (2019). How We Tick: The Biology of Time and the Power of When. Penguin Books. → Ein populärwissenschaftliches Buch über Chronobiologie, das erklärt, wie unser Biorhythmus mit modernen Arbeitszeiten kollidiert.

• Proust, M. (1913). À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Éditions Gallimard. → Literarisches Werk über Zeitwahrnehmung, Gedächtnis und das subjektive Erleben von Zeit.

• Einstein, A. (1905). Zur Elektrodynamik bewegter Körper. Annalen der Physik, 17, 891-921. → Die berühmte Arbeit zur Relativitätstheorie, die zeigt, dass Zeit vom Betrachter abhängt – ein Prinzip, das sich überraschend gut auf die Pflege übertragen lässt.

• Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux. → Ein Werk über kognitive Verzerrungen und Wahrnehmung, das erklärt, warum stressige Situationen unsere Zeiterfahrung verändern.

• Zimbardo, P. & Boyd, J. (2008). The Time Paradox: The New Psychology of Time That Will Change Your Life. Simon & Schuster. → Erforscht, wie Menschen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erleben – und warum manche Berufe (wie die Pflege) besonders stark von diesen Wahrnehmungsverschiebungen betroffen sind. #Chronobiologie #Zeitdilatation #Einstein #Relativitätstheorie #Pflegewissenschaft #Schichtarbeit #CircadianRhythms #TemporalPerception #CognitiveBias #Proust #TimePerception #ZimbardoTimeParadox

 
 

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