Einleitung
Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) ist ein zentraler Bestandteil des Strukturmodells zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Sie dient dazu, die pflegebedürftige Person in ihrer Gesamtheit zu erfassen und individuelle Pflegebedarfe systematisch zu ermitteln. Die erste fachliche Einschätzung durch die Pflegefachkraft ist dabei von besonderer Bedeutung, da sie die Basis für die gesamte Pflegeplanung bildet. Eine fundierte Einschätzung ermöglicht eine passgenaue Versorgung, die sowohl die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person als auch pflegerische Risiken berücksichtigt.

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) im Überblick
Die SIS ist ein zentrales Instrument der Pflegedokumentation und besteht aus mehreren Feldern, die systematisch ausgefüllt werden:
Feld A: Allgemeine Angaben zur Person und Pflegeeinrichtung
Feld B: Perspektive der pflegebedürftigen Person
Feld C1: Erste fachliche Einschätzung der Pflegefachkraft
Feld C2: Risikomatrix zur Identifikation pflegerischer Risiken
Feld D: Individuelle Maßnahmenplanung basierend auf den Einschätzungen
Die erste fachliche Einschätzung in Feld C1 nimmt eine zentrale Rolle ein, da sie den Pflegeprozess strukturiert einleitet und pflegerische Risiken frühzeitig identifiziert.
Die erste fachliche Einschätzung durch die Pflegefachkraft
Die erste fachliche Einschätzung in der SIS erfolgt auf Basis einer strukturierten Analyse verschiedener Themenfelder. Dabei betrachtet die Pflegefachkraft die individuelle Pflegesituation aus einer professionellen Perspektive und stellt fest, in welchen Bereichen Unterstützungsbedarf besteht. Die Einschätzung erfolgt in folgenden Bereichen:
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Kognitive Defizite, Demenz oder andere neurologische Erkrankungen
Kommunikationsfähigkeit und Sprachverständnis
Orientierung in Raum und Zeit
Mobilität und Beweglichkeit
Fortbewegungsfähigkeit innerhalb und außerhalb des Wohnbereichs
Sturzrisiko und notwendige Präventionsmaßnahmen
Beweglichkeit der Gelenke und Schmerzsymptomatik
Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen
Vorliegen chronischer Erkrankungen
Medikamenteneinnahme und Therapieadhärenz
Umgang mit Schmerzen und anderen Beschwerden
Selbstversorgung
Fähigkeit zur Körperpflege, Ankleiden und Nahrungsaufnahme
Ernährungsgewohnheiten und -probleme
Ausscheidungsverhalten und Inkontinenzversorgung
Leben in sozialen Beziehungen
Vorhandene soziale Kontakte und Unterstützungssysteme
Einsamkeit und soziale Isolation
Einbindung in Familie und Gemeinschaft
Haushaltsführung (nur im ambulanten Bereich)
Fähigkeit zur eigenständigen Haushaltsführung
Benötigte Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben.
Diese Einschätzung dient dazu, eine umfassende und bedarfsgerechte Pflegeplanung zu erstellen, die alle relevanten Aspekte der individuellen Pflegesituation berücksichtigt.
Die Bedeutung der Risikomatrix (Feld C2)
Nach der ersten fachlichen Einschätzung erfolgt die Eintragung relevanter Risiken in die Risikomatrix. Hierbei werden spezifische pflegerische Risiken identifiziert, dokumentiert und hinsichtlich ihrer Relevanz bewertet. Die Risikomatrix erfasst unter anderem:
Dekubitusrisiko (Gefahr von Druckgeschwüren)
Sturzrisiko (Erhöhte Sturzgefahr durch Mobilitätseinschränkungen)
Mangelernährung (Unzureichende Nahrungsaufnahme oder ungesunde Ernährung)
Aspirationsrisiko (Gefahr des Verschluckens bei Schluckstörungen)
Exsikkose (Austrocknung) (Ungenügende Flüssigkeitszufuhr)
Schmerzmanagement (Chronische oder akute Schmerzen).
Die Risikomatrix dient als Entscheidungsgrundlage für die weitere Pflegeplanung und die Einleitung spezifischer Maßnahmen zur Risikominimierung.

Warum ist die erste fachliche Einschätzung so wichtig?
Eine fundierte erste fachliche Einschätzung ist aus mehreren Gründen essenziell:
Frühzeitige Identifikation von Risiken:
Durch die systematische Erfassung können pflegerische Risiken frühzeitig erkannt und präventive Maßnahmen eingeleitet werden.
Individuelle und bedarfsgerechte Pflege:
Die Einschätzung stellt sicher, dass die Pflegeplanung auf die individuellen Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person abgestimmt ist.
Effizienzsteigerung und Entbürokratisierung:
Die strukturierte Dokumentation erleichtert die Pflegeplanung und reduziert redundante Aufzeichnungen.
Rechtliche Absicherung:
Eine vollständige und fachlich fundierte Dokumentation schützt Pflegeeinrichtungen vor Haftungsrisiken.
Verbesserung der Pflegequalität:
Eine gezielte und bedarfsgerechte Pflegeplanung führt zu einer höheren Pflegequalität und besseren Ergebnissen für die Pflegebedürftigen.
Allerdings ersetzt die Risikomatrix keine differenzierte Einschätzung nach pflegewissenschaftlichen Standards, wie sie in den Expertenstandards definiert sind.
Der Expertenstandard zur Dekubitusprophylaxe fordert eine systematische und differenzierte Risikoeinschätzung, die folgende Faktoren berücksichtigt:
Mobilitätsstatus: Ist die Person in der Lage, ihre Position selbstständig zu verändern, oder ist sie immobil?
Hautzustand: Gibt es bereits Hautschäden, Rötungen oder Druckstellen?
Feuchtigkeit: Besteht eine vermehrte Hautfeuchtigkeit durch Schwitzen, Inkontinenz oder andere Faktoren?
Ernährungszustand: Liegt eine Mangelernährung oder ein Untergewicht vor?
Durchblutung: Gibt es Einschränkungen in der Mikrozirkulation, beispielsweise durch Diabetes oder arterielle Durchblutungsstörungen?
Druckeinwirkung: Sind bestimmte Körperstellen besonders starkem Druck ausgesetzt --> Prädilektionsstellen (Fersen, Kreuzbein, Ellbogen)?

Quelle: Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege, 2017, S. 64. --> eigene Darstellung.
Die Risikomatrix der SIS gibt lediglich eine grobe Einschätzung, ob ein Dekubitusrisiko besteht oder nicht, ohne eine detaillierte Analyse der genannten Risikofaktoren vorzunehmen. Dies kann dazu führen, dass Risiken nicht frühzeitig erkannt oder unzureichende Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden. Daher sollte die Einschätzung in der SIS stets durch eine differenzierte Risikoanalyse mit validierten Instrumenten wie der Braden-Skala oder Norton-Skala ergänzt werden.

Fazit
Die erste fachliche Einschätzung in der SIS ist ein entscheidender Schritt im Pflegeprozess. Sie ermöglicht eine systematische und individuelle Erfassung der Pflegesituation und bildet die Grundlage für eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Pflege. Durch die strukturierte Erfassung relevanter Risiken können Präventionsmaßnahmen frühzeitig eingeleitet und die Versorgung optimal auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen abgestimmt werden.
Entdecken Sie weiterführende Fachliteratur
Möchten Sie noch tiefer in die Themen Pflegeplanung, Risikoeinschätzung und Expertenstandards eintauchen? In meinem Shop finden Sie eine Auswahl an Fachbüchern, die Sie bei Ihrer täglichen Arbeit als Pflegefachkraft unterstützen. Jetzt stöbern und Ihr Wissen erweitern!
GLG Eure Schwester Eva
Comments